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„Sie sollten schweigen!“ – Zur Beratung von Zeugen durch den Verteidiger

Von 6. Februar 2020Blog

Der Rat, zu schweigen – eine Selbstverständlichkeit für Verteidiger, wenn es um den Beschuldigten geht, also um den eigenen Mandanten. Dazu das klassische Zitat des ehemaligen Richters am Supreme Court Robert H. Jackson (1892-1954):

„Any lawyer worth his salt will tell [a] suspect in no uncertain terms to make no statement to police under any circumstances.” (frei übersetzt „Jeder Anwalt, der sein Geld wert ist, wird einem Verdächtigen unter allen Umständen raten, sich gegenüber der Polizei nicht zu äußern.“)

Wie verhält es sich aber, wenn es um Zeugen geht? Darf der Verteidiger einem Zeugen raten, von einem ihm zustehenden Zeugnis- (§§ 52 ff. StPO) oder Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch zu machen? Selbst gestandene Verteidiger wirken hier gelegentlich unsicher.

Die Antwort lautet: Das darf der Verteidiger. Zunächst einmal steht § 146 StPO nicht entgegen, denn es geht nicht um die Vertretung eines anderen Beschuldigten. Sodann gilt, was der BGH bereits in einer Entscheidung aus dem Jahr 1957 (veröffentlicht in NJW 1957, 1808) ausgeführt hat: „Wer einen anderen veranlasst, von einem ihm zustehenden Recht Gebrauch zu machen, handelt nur rechtswidrig, wenn er dabei unerlaubte Mittel anwendet.“

Die Entscheidung betrifft nur die Beratung eines Zeugen über ein Zeugnisverweigerungsrecht, ihr Leitgedanke ist allerdings auf den Rat, nach § 55 StPO die Auskunft  zu verweigern, übertragbar. Der große Frankfurter Strafverteidiger Eberhard Kempf hat es in einem sehr lesenswerten Aufsatz mit dem Titel „Wahrnehmungen des Rechts: Einflussnahme auf Zeugen“ (in: StraFo 2003, 79 ff.) auf den Punkt gebracht:

„Bei Zeugen, denen ein Aussage- beziehungsweise Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, wird aus dem strafprozessualen Grund der Wahrheitsfindung auf eine freie Willensentscheidung abgestellt. Dem Verteidiger ist jedes Mittel erlaubt, welches die freie Willensbildung nicht beeinträchtigt. So kann er einen aussageweigerungsberechtigten Zeugen veranlassen, die Aussage zu verweigern.“

Eine zeitliche Grenze für die Erteilung eines solchen Rats durch den Verteidiger gibt es nicht. Notfalls kann noch in der Hauptverhandlung das Wort an den Zeugen gerichtet werden, wenn der Verteidiger zu der rechtlich begründbaren Auffassung gelangt ist, dem Zeugen stehe ein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht zu.

Nicht oft wird man beobachten können, dass das Gericht Zeugnisverweigerungsrechte verkennt oder völlig negiert. Streit wird es in der Hauptverhandlung zumeist um Bestehen und Umfang des Auskunftsverweigerungsrechts (§ 55 StPO) geben und eines ist sicher: Der an den Zeugen gerichtete Satz des Verteidigers „Ich rate Ihnen, von Ihrem umfassenden Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch zu machen und nicht auszusagen!“ erfordert besonderen Mut, führt er doch fast regelmäßig zu wütenden und nicht selten lautstarken Äußerungen von Staatsanwaltschaft und/oder Gericht, in manchen Gerichtssprengeln gar zu der Ankündigung der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Begünstigung, Strafvereitelung und ähnlichem – wir hörten sogar schon von sofortigen Kanzleidurchsuchungen (!). Da heißt es für den Verteidiger, der das Recht auf seiner Seite weiß, Nerven bewahren und die oben angeführte (alte) BGH-Entscheidung aus der Tasche zu ziehen; es kann nicht schaden, sie bei vorhersehbaren Streitfälle in gedruckter Form dabeizuhaben, um sie unkundigen Verfahrensbeteiligten sogleich präsentieren zu können.

Wir schließen diesen Beitrag, um wieder einmal den alten Klassiker von Hans Dahs in Erinnerung zu rufen: „Verteidigung ist Kampf. Kampf um die Rechte des Beschuldigten…“ (aus: Handbuch des Strafverteidigers, 8. Aufl. 2015). Mandanten wissen Verteidiger sehr zu schätzen, die diesen Kampf führen, und das zahlt sich regelmäßig auch aus.

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